Ein Komponist in der Loge – Albert Lortzing und die Königliche Kunst

Blog Ver Sacrum

4. November 2015

Hans-Hermann Höhmann

 

Ein Komponist in der Loge –
Albert Lortzing und die Königliche Kunst

 

Freimaurerei versteht sich als eine „Königliche Kunst“. Früh schon in ihrer Geschichte, zu Beginn des 18. Jhdt., entstand in den Logen – sowohl im Denken als auch in der kommunikativen Praxis der Brüder und oft eher in spontan gefunden als bewußt entworfen – das Ideal eines guten moralischen Lebens, die Vision eines auf brüderlichem Miteinander beruhenden menschlichen Glücks [1] . In seiner Umsetzung in die Logenpraxis verband dieses Konzept in sehr unterschiedlicher nationaler und regionaler Ausprägung drei Elemente miteinander – Geselligkeit, aufklärerisches Denken und christlich orientierte, aber doch autonome Religiosität – und fand in der Metapher vom „Tempelbau der Humanität“, an dem der Freimaurer arbeitet und der von den drei Säulen Weisheit, Stärke und Schönheit getragen wird, seinen symbolischen Ausdruck.

 

Nicht zuletzt für Künstler war die Freimaurerei von Anfang an attraktiv. Das Wechselspiel der Formen und Ideen beflügelte ihre Phantasie, und die Sozialform Loge vermittelte ihnen sozialen Halt in einer durch Auflösung des barocken Standesgefüges unsicher gewordenen gesellschaftlichen Umwelt. Umgekehrt interessierten sich die Logen schon früh für die Künstler, die schöpferisch-gestaltenden ebenso wie die ausführenden. Denn Geselligkeit und Ritual bedurften des Form gebenden und Stimmung vermittelnden Faktors Kunst. Formen und Inhalte, Emotionalität und Rationalität, Esoterik und Exoterik, Symbole und Gedanken – dies alles bestimmte in unterschiedlichen Mischungen die Vielschichtigkeit der „Königlichen Kunst“ und verlieh der Freimaurerei eine bis heute fortwirkende, gleichsam „gesamtkunstwerkliche“ Qualität.

 

Auch die Musiker fühlten sich von freimaurerischer Idee und Logenpraxis angesprochen und wurden ihrerseits auch von den Logen gesucht. Dies gilt für das 18. Jhdt. ebenso wie für das 19. Jhdt., als sich mit der Konsolidierung der bürgerlichen Gesellschaft auch eine neue Ästhetik durchsetzte, die als „Ästhetik bürgerlicher Geselligkeit“ auch in den Freimaurerlogen fest verankert war.

 

Doch so wichtig das Verhältnis zwischen Freimaurerei und Kunst im allgemeinen und zwischen Freimaurerei und Musik im besonderen auch ist, und wie sehr ich später ausführlicher darauf zurückzukommen habe: Höflichkeit und Brüderlichkeit gebieten es, zunächst vom Komponisten und Logenbruder Albert Lortzing zu sprechen.

 

Ich kann dies auf solider Grundlage tun, weil durch neuere Untersuchungen, insbesondere durch die Arbeiten von Walter Dietrichkeit< [2] , all das analytisch aufgearbeitet ist, was man nach Lage der Quellen heutzutage über den Freimaurer Lortzing wissen kann.

 

Lortzing gehörte mehr als die Hälfte seiner Lebenszeit dem Bunde an. [3] Seine Logenaktivitäten spiegeln die verschiedenen Stationen seiner Berufskarriere wider. Lortzings Präsenz in der Loge war unterschiedlich intensiv, riß jedoch niemals gänzlich ab. In den Bund aufgenommen wurde Lortzing – nicht einmal 24-jährig – am 3. September 1925 in der Aachener Loge „Zur Beständigkeit und Eintracht“. Dort erfolgte am 19. August 1826 auch seine Beförderung zum Freimaurer-Gesellen. Von 1827 bis 1832, als Lortzing Mitglied des Detmolder Hoftheaters war, besuchte er von dort aus die Logen „Zum goldenen Rade“ in Osnabrück und „Zu den drei Balken des neuen Tempels“ in Münster. Nach Lortzings beruflichem Wechsel nach Leipzig – als „Mitglied und Opern-Regisseur beim Stadttheater“ wie die Logenakten verzeichnen – nahm ihn die dortige Loge „Balduin zur Linde“ am 28. Januar 1834 als Gesellen an. Den abschließenden Meistergrad der Freimaurerei erreichte Lortzing erst relativ spät, wobei Datum und Ort umstritten sind. Der 4. Dezember 1845 bei der Loge „Agrippina“ in Köln (das wäre vor Lortzings Wechsel nach Wien gewesen) und der 13. Dezember 1849 in Leipzig (d.h. nach Lortzings Rückkehr) werden in der Forschung als die wahrscheinlichsten alternativen Zeitpunkte genannt. [4] Insbesondere das letzte Datum würde Lortzings freimaurerisches Engagement bis zu seinem Lebensende im Januar 1851 belegen.

 

Lortzing trug immer wieder als Komponist und ausführender Künstler zum Logenleben bei, wobei bedauerlicherweise nicht alle seiner freimaurerischen Kompositionen erhalten sind. [5] Besonders bekannt wurden die der Loge „Zum goldenen Rade“ in Osnabrück im Jahre 1829 gewidmeten „Acht Lieder mit Begleitung des Klaviers“, von denen wir anschließend drei Beispiele hören, sowie die zur Hundertjahrfeier der Leipziger Loge „Minerva zu den drei Palmen am 20. März 1841 komponierte Kantate „Hört! Des Hammers Ruf ertönet“.

 

Doch Lortzing bereicherte das musikalische Leben der Logen nicht nur durch masonische Originalkompositionen. Auch die Verwendbarkeit seiner schnell populär gewordenen Opernmelodien für Logenzwecke stellte sich bald heraus. Schließlich mußten ihnen bei ihrer liedhaften Sangbarkeit nur neue, freimaurerische Texte unterlegt werden. Am bekanntesten ist hier – natürlich, möchte man fast sagen – das Zarenlied „Einst spielt ich mit Zepter, mit Kron‘ und mit Stern“ aus „Zar und Zimmermann“ geworden, das nach Meinung einiger Lortzing-Autoren gar umgekehrt als ein Logenlied entstanden ist, dessen Melodie der Komponist dann später in die Oper übernahm. Der freimaurerische Text spiegelt auf anschauliche Weise Ideenwelt und Stimmung, Ethos und Pathos der Freimauerei. Dies geschieht sicher nicht mit Worten vom Range hoher klassischer deutscher Poesie. Die eher bemühten als gekonnten Verse sind jedoch recht kennzeichnend für den gedanklichen und gefühlsmäßigen Ausdruck, den die Freimaurerei im geselligen Milieu der Bürger-Brüder fand, und der im übrigen ja auch bereits die sprachlich eher schlichten Texte zu Mozarts Freimaurerkantaten gekennzeichnet hatte. Hier hier eine Kostprobe – gleichsam zum inneren Mitsingen der mit der Zarenmelodie sicher gut vertrauten Zuhörer:

 

Zwei Sterne, hoch oben am himmlischen Zelt 
Erleuchten, bestrahlen, beglücken die Welt.
Die Freundschaft, die Liebe, dem Maurer bekannt
Verbinden die Herzen und knüpfen das Band.
Steht Freundschaft und Liebe im engen Verein,
dann selig, dann selig ein Maurer zu sein.

 

Was mag einen Mann, einen Künstler wie Lortzing an der Freimaurerei angezogen haben? Unter den Stichwörtern „Geselligkeit“, „Ideenwelt“ und „Stimmung“ möchte ich einige Gedanken vom Beginn meines Vortrags aufgreifen und im Kontext einer generellen Skizzierung des Verhältnisses von Freimaurerei und Musik weiterführen.

 

Die Logen waren Treffpunkte der sich herausbildenden und konsolidierenden bürgerlichen Gesellschaft. Dies gilt in unterschiedlichen nationalen und regionalen Ausprägungen sowohl für das 18. als auch das 19. Jhdt. und ist im Kern bis heute so geblieben. Die Logen waren dabei geradezu als Formen einer Alternativ-Gesellschaft entstanden. Die Auflösung der Ständegesellschaft, die zunehmende regionale Mobilität, die wachsende soziale und weltanschauliche Autonomie der Menschen – und das heißt im historischen Zusammenhang zunächst der Männer –, die neuen aufklärerischen Denkfiguren, die Sehnsucht auch nach einer freieren, undogmatischen Religiosität, die einem optimistischen Lebensgefühl und einer rituellen Bekräftigung von Wert und Würde des Menschen Raum gab, die Hoffnung schließlich auf politische Freiheit und nationale Einheit – all das mischte sich im Denken und Fühlen der Freimaurer, machte die Freimaurerei zu einer „Enklave bürgerlichen Gemeinsinns“ (so Jürgen Habermas) und ließ die Loge zum „bedeutsamsten Sozialinstitut der moralischen Welt des 18. Jhdt.“ (Reinhart Koselleck) werden. Die Logen gaben sich ihre eigenen kommunikativen Codes, überhöhten ihre Ideenwelt durch Rituale und Zeremonien und schufen ihre eigenen sozialen Hierarchien. Sie schlossen sich einerseits durch das berühmt-berüchtigte Freimaurergeheimnis gegenüber Nicht-Mitgliedern ab, waren andererseits aber doch offen „für immer neue Menschen“ – wie es im Ritual heißt – und für die Probleme ihrer Zeit. Offen-Sein für Zeitprobleme bedeutete zu Lortzings Zeiten vor allem eine deutliche Affinität der deutschen Freimaurer zur National- und zur politisch-sozialen Reformbewegung. Die starke Repräsentanz von Freimaurern im Frankfurter Paulskirchenparlament ist hierfür ein deutlicher Beleg. Und auch in Lortzings Werken, auch seinen freimaurerischen, finden sich klare Bezüge zu Sozialreform und nationaler Einigungsbewegung.

 

Die Welt der Logen war – so konnte bereits festgestellt werden – ein Magnet für Künstler, darunter auch für viele Musiker, und hier wiederum vor allem für die geselligen unter ihnen. Lortzing war nun offenbar – wie vor ihm auch Mozart – ein in besonderem Maße geselliger Mensch. Wie sehr Lortzing der in den Logen heimischen „Kultur der Geselligkeit“ entsprach, läßt beispielsweise die Charakterisierung seines Leipziger Theater-Kollegen Düringer erkennen, der Lortzing aus nächster Nähe mit Worten beschreibt, die über eine lediglich künstlerische Einschätzung in bezeichnender Weise hinaus gehen: [6] „Ohne eigentlich ausgeprägte Stimme war er mit seinen musikalischen Kenntnissen und Talenten stets in der Oper verwendbar, namentlich für Spielpartien. Sein liebenswürdiges, einnehmendes Äußeres kam ihm auf der Bühne sehr zu statten. Eine schlanke Mittelfigur mit dunkellockigem Haar, freundlichem schönen Angesichte; seine hübschen dunklen Augen, heiter lebendig; seine ganze Erscheinung, sein ganzes Wesen voll Frohsinn und Laune, gewandt und gefällig, so auf der Bühne wie im Leben, verfehlte da wie dort niemals den angenehmsten Eindruck.“

 

Lortzings Hang zur Geselligkeit wird auch durch seine Mitgliedschaft in anderen gesellschaftlichen Vereinigungen belegt, [7] etwa in der Leipziger Tunnelgesellschaft, einer literarisch-artistischen Gruppierung, deren Name sich scherzhaft auf den zu jener Zeit aufsehenerregenden Bau des Londoner Themse-Tunnels bezog. Auch war Lortzing Mitgründer des Leipziger Schillervereins. In Wien, wo Lortzing ab 1846 tätig war, und wo zu dieser Zeit Freimaurerlogen verboten waren, gehörte der Komponist ebenfalls zwei gesellig-kulturellen Vereinigungen an, der der späteren „Schlaraffia“ ähnlichen, humoristisch angelegten „Rittergesellschaft“, wo Lortzing sich nach eigenen Worten „oft und sehr amüsierte“ und für die er auch komponierte, sowie der „Concordia“, einer Künstler- und Literatenvereinigung, die der Komponist allerdings weit weniger schätzte und nur selten besuchte.

 

Ausgesprochene Berufsinteressen und Hoffnungen auf lohnende Verbindungen dürften Lortzing kaum in die Logen und die anderen Vereinigungen geführt haben, wohl aber das Bedürfnis einer tragenden freundschaftlichen Einbindung, ein Bedürfnis, das aufgrund des Wechsels der Künstler von Ort zu Ort und der oft schwierigen und labilen Beschäftigungsverhältnisse durchaus verständlich ist. Mit dem Typus des freischaffenden Künstlers, wie er im 18. Jhdt. entsteht, verbindet die Sehnsucht nach einer neuen Dazugehörigkeit, wie sie auch schon Mozart in seine Wiener Loge geführt hatte. Wie Mozart konnte sich auch Lortzing in der Loge zu Hause fühlen, zumal die Geselligkeit der Freimaurerei im 18. und im 19. Jhdt. viel mehr als in späteren Zeiten eine ausgesprochen musikalische Geselligkeit war.

 

Früh schon wurde in den Logen musiziert und gesungen, zuerst beim heiteren Beisammensein nach der rituellen Arbeit, später – vor allem seit der zweiten Hälfte des 18. Jdts. – auch im Ritual. Die Lieder bei der Tafel waren zunächst oft freimaurerisch adaptierte Volkslieder, teilweise sogar ausgesprochene Gassenhauer. Zeitgenössischen Zeugnissen zufolge waren die frühen Freimaurer durchaus lustige Brüder, Männer, die schon einmal über die Stränge schlugen, wie etwa der Maler und Kupferstecher William Hoghart – selbst Freimaurer – auf seinem Stich „Nacht“ aus dem bekannten Tageszeitenzyklus zeigt, wo eine empörte Bürgerin über dem lärmend nach Hause schwanken Freimaurer gar das Nachtgeschirr entlädt. Schon der Autor der Konstitutionsurkunde der englischen Freimaurer – der sog. „Alten Pflichten“ aus dem Jahre 1723 – fühlte sich daher zu Ermahnungen veranlaßt. Im Abschnitt „Vom Betragen, wenn die Loge vorüber ist, die Brüder aber noch nicht auseinander gegangen sind“ findet sich das folgende Monitum: [8] „Ihr mögt Euch in unschuldiger Lust ergötzen und Euch einander nach Kräften bewirten. Ihr müßt aber jede Ausschweifung vermeiden und keinen Bruder zwingen, über seine Neigung zu essen und zu trinken, oder ihn am Weggehen hindern, wenn ihn seine Angelegenheiten abrufen“, und in einem um die Wende vom 18. zum 19. Jhdt. entstandenen Berliner Freimaurerlied wird die Tugend der Zurückhaltung gar besungen: [9]

 

„Tobend schwärmen, taumelnd lärmen
darf der Maurer nicht;
sich mit Anstand freuen, Lasterfeste scheuen
ist des Maurers Pflicht.“

 

Freimaurerei als alternative Geselligkeit zur bisher dominierenden höfischen Festkultur mußte offensichtlich erst ihre Formen und Regeln finden, was dann vor allem mit den Tafellogen-Ritualen geschah, die seit Mitte des 18. Jhdt. in Frankreich entstanden und bald nach Deutschland übernommen wurden. Tafellogen schließen sich gewöhnlich an Aufnahmearbeiten an oder werden an besonderen Festtagen der Loge (Johannisfest, Stiftungsfest, Logenjubiläum) abgehalten. [10] Bis in das frühe 20. Jhdt. hinein waren sie von maurerischer Musik, Instrumentalkunst oder Chorgesang der Loge begleitet, weshalb die Tafelmusik oft sehr reichhaltig war. Für die große Rolle der Musik bereits vor der Tafellogenzeit mag ein Bericht über das Johannisfest der Bayreuther Loge „Zur Sonne“ im Jahre 1753 zeugen, in dem es heißt: „Daraufhin brachte man eine Reihe weiterer ‚Gesundheiten‘ aus, allesamt begleitet von Kanonendonner und vom Schein der Feuerwerkskörper und unterbrochen nur von Freimaurerliedern und den Takten der Hofkapelle“. Was das Verhältnis zwischen Loge und Hof betrifft, so fand – wie Norbert Schindler [11] herausgearbeitet hat – offenbar im Ringen um neue Formen der Geselligkeit „hinter den Kulissen wohlabgewogener festlicher Harmonie…ein Machtkampf um symbolische Positionen statt, in dem die Freimaurerloge die Mittel der traditionellen Kultur aufgreift, um sie gegen diese einzusetzen“.

 

Doch die Freimaurer waren nicht nur heiter und gesellig, sie waren auch ernsthaft und besinnlich, und dieser Wesenszug hat sich gleichfalls in der freimaurerischen Musik niedergeschlagen. Zunächst wurden Kirchenliedern oder Huldigungs-Hymnen freimaurerische Texte unterlegt. Die englischen Brüder Freimaurer sangen beispielsweise nach der Melodie von „God save the King“ den Text „Hail masonry devine“. [12] Nachdem die Musik zu einem festen Bestandteil auch der freimaurerischen Rituale geworden war, stieg die Zahl der Kompositionen für den Logengebrauch stark an.

 

Freimaurerische Musik mußte produziert und aufgeführt werden, und so regte sich schon bald nach dem Entstehen der modernen Freimaurerei durch die Gründung der Londoner Großloge im Jahre 1717 das Interesse der Logen, Musiker in ihre Reihen aufzunehmen. Es entstand die Kategorie der „Musikalischen Brüder“, die sich für Komposition, Arrangement und Ausführung von Ritual- und Tafelmusiken zur Verfügung stellten und in einzelnen Logen einem eigenen Musikmeister unterstanden, der wiederum dem Vorstand der Loge, dem sog. „Beamtenrat“ angehörte. Offensichtlich gab es Chorsänger und Instrumentalisten in den Logen, viele Logen verfügten zumindest über Pianisten und Streichquartette, zu Beginn des 20. Jhdts. erfreute sich das Bläserquartett Dresdner Freimaurer nachgerade überregionaler Berühmtheit, und bis in die Gegenwart hinein gehören bekannte Opernsänger zu den musikalischen Brüdern. Die Logen veranstalteten auch Konzerte für das allgemeine Publikum und trugen auf diese Weise oft wesentlich zum Kulturleben der Städte bei. Die erste Mitteilung über die Aufnahme eines Musikers findet sich übrigens in den Protokollen der „Witham Lodge“ im englischen Lincoln bereits am 2. Januar 1732, wo es heißt: [13] „Br. Every empfiehlt Mr. Stephan Harrison aus London, Musikmeister, als geeignetes Mitglied und erklärt sich bereit, eine Guinee zu den Aufnahmekosten beizutragen… Im Hinblick darauf, daß Mr. Harrison der Loge von Nutzen sein und zur Unterhaltung beitragen werde, beschließt die Loge, die Aufnahme für 3 Pfund, 13 Schilling, 6 Pence vorzunehmen.“

 

Ihren Gipfel erreichte die Freimaurerische Musik zweifellos durch Mozart, der neben der Zauberflöte und dem instrumentalen Höhepunkt seiner „Maurerischen Trauermusik“ eine Reihe von Einzelgesängen und Kantaten für seine Wiener Loge komponierte. „Laut verkünde unsre Freude froher Instrumentenschall, jedes Bruders Herz empfinde dieser Mauern Widerhall“, dieses Textbeispiel aus der „Kleinen Freimaurer-Kantate“ bezeugt Ethik und Stimmung der Freimaurerei ebenso wie die Schlußstrophe des „Maurergesangs“, der zum Ende der Loge gesungen wurde, und in der es heißt: [14]

 

„Tugend und die Menschheit ehren,
sich und andren Liebe lehren,
sei uns stets die erste Pflicht.
Dann strömt nicht allein im Osten,
dann strömt nicht allein im Westen,
auch im Süd und Norden Licht.“

 

Es ist eine helle, lichte Stimmung, die hier vermittelt wird: Die Welt ist gut, der Mensch ist gut, vom Plan der Schöpfung her zumindest, und wenn er an sich arbeitet, wenn er den rauhen Stein seiner Persönlichkeit formt, dann kann der Bau einer besseren Welt gelingen, und zwar weltweit als Ausdruck einer globalen Hoffnung, denn – so heißt es weiter:

 

„Es umschlinge diese Kette, so wie diese heil’ge Stätte, auch den ganzen Erdenball.“

 

Ideenwelt und Stimmung der Freimaurerei sind nun auch beim Komponisten und Freimaurer Lortzing zu entdecken. Das Streben nach Freiheit, allgemeiner Menschenliebe und Wohltätigkeit sowie die Affinität zur bürgerlichen Revolution spiegelte sich in seinen Werken, und zwar nicht nur seinen Freimaurerkompositionen sondern auch in Singspielen wie „Andreas Hofer“ und Opern wie vor allem „Regina“ [15] – „Regina“ mit der Musik Lortzings zum Text der von Friedrich Stolze für das Paulskirchenparlament geschriebenen Volkshymne:

 

„Ein Volk, ein Heer, ein Wetterschlag, nun kommt der Freiheit großer Tag“.

 

Kurz: Lortzing verteidigte Ideale, karikierte Spießbürger und besang die Konturen einer glücklichen Zeit.

 

Die kritischen Werke Lortzings wurden zu Lebzeiten des Komponisten freilich auf die eine oder andere Weise Opfer der Zensur und sind – wie insbesondere die „Regina“ – erst heutzutage recht eigentlich wiederentdeckt worden.

 

Auch seine acht „Osnabrücker Freimaurerlieder“ huldigen freimaurerischen Idealen.

 

Sie besingen Wohltätigkeit: „Wohltätigkeit! Wer deinen Lohn empfand, der öffnet gern der Armut Herz und Hand“.

 

Sie besingen Freiheit: „Töne, mein Lied, töne mein Lied, laß mich in kräftigen Weisen, Freiheit, die herrliche preisen, innig durchglüht, innig durchglüht“.

 

Und sie besingen Freundschaft und Geselligkeit: „Brüder hört, dies Glas vereint meiner Wünsche jeden, wie mein Bruderherz es meint, soll die Zunge reden.“

 

Diese Worte sind Widerspiegelungen freimaurerischer Ideen, doch gleichzeitig auch Ausdruck von Stimmungen: vom „Durchglüht-sein“ ist die Rede, vom „Empfinden“, von der „Meinung des Herzens“, die zuerst da ist und danach erst die Zunge reden läßt.

 

Stimmung [16] ist nun – insbesondere Martin Heidegger hat nachdrücklich darauf verwiesen – eine sehr ursprüngliche Seinsart des Menschen. Die emotionale Befindlichkeit des Menschen, seine Stimmung eben, erschließt die Welt noch vor dem theoretischen Verstehen. Stimmungen eröffnen Sinnzusammenhänge und vermitteln Impulse zum Handeln. Insbesondere der Tübinger Philosoph und Pädagoge von Otto Friedrich Bollnow hat dabei die Bedeutung gehobener Stimmungen wie Glück, Freude, „Festigkeit des eignen Selbst“, Überzeugungsgewißheit, Verbundenheit mit anderen Menschen, Getragensein, Geborgenheit und Vertrauen für die psychische, geistige und moralische Entwicklung des Menschen eindrucksvoll hervorgehoben, vor allem in seiner durchaus für die Freimaurerei wieder zu entdeckenden Schrift „Das Wesen der Stimmungen“. [17]

 

Das erzeugen solch guter, gehobener Stimmungen ist nun auch ein ganz zentrales inneres Form- und Gestaltungsprinzip der Freimaurerei, wobei die freimaurerische Musik – wie wir an den Beispielen Mozart und Lortzing gesehen haben – wiederum in besonderem Maße beteiligt ist. Musik gehört zur Freimaurerei und trägt sehr wesentlich dazu bei, daß die „Königliche Kunst“ in ihrer Gesamtheit in der Lage ist, neue Gemütslagen zu entdecken und seelische Bereiche konstruktiv zu erweitern. Musik generiert eine festlich gehobene, eine – dennoch! – optimistische Stimmung, eine Gefühlslage, die positive Empfindungen mit Ordnung und Maß verbindet, und die hilft, jene „gesellige Vernunft“ zu bewahren, die seit den Tagen der Aufklärung immer wieder kennzeichnend für die Kultur der Freimaurerei gewesen ist. Das Herstellen von Stimmungen durch den Zusammenklang von Worten, symbolischen Handlungen, Bildern und Musik ist wohl auch das wichtigste pädagogische Medium der Freimaurerei in der Gegenwart. Freimaurerei bedeutet auch heute sehr wesentlich die Einladung, sich besser zu fühlen, um die Möglichkeit zu erfahren, besser zu werden.

 

Sich besser fühlen, meine Damen und Herren, das gelingt nun leicht unter dem Eindruck der Musik des Komponisten und Freimaurerbruders Albert Lortzing. Mir ist es jedenfalls immer leicht gefallen, mich mit Lortzing ästhetisch zu identifizieren, dem Komponisten zuerst und dem Freimaurer später. Den Komponisten entdeckte ich schon mit zehn, als wir – ausgebombt in Kassel – von der kriegsbedingten Kinderlandverschickung aus zum Exilspielort des Kasseler Staatstheaters nach Bad Hersfeld zur ersten Oper – „Zar und Zimmermann“ – gefahren sind. Bis heute liebe ich an Lortzing die Frische seiner Musik, einer Musik, die auch durchaus auch emotional, ja sentimental sein kann – „lebe wohl mein flandrisch Mädchen“ –, die aber nie billig, breit und fettig daher kommt, eine Musik, die witzig ist, die pointieren und charakterisieren kann, die dem wirklichen und nicht dem selbst eingebildeten Maß des Menschen entspricht (und die das eingebildete Maß rasch zurecht stutzt), eine Musik, die „fertig wird und die nicht schwitzt“ – hier leihe ich ein Urteil Nietzsches über George Bizet aus –, eine Musik, die heitere und gute Gefühle weckt, eine Musik des „guten Lebens“ eben, die schlicht zu dem paßt, was Freimaurerei sein will: Grundlage und Anleitung für eine Lebensgestaltung, die Weisheit, Schönheit und Stärke verbindet.

 


[1]   Vgl. Ortrud Gutjahr, Wilhelm Kühlmann, Wolf Wucherpfennig, Vorwort, in: Dieselben (Hrsg.), Gesellige Vernunft. Zur Kultur der literarischen Aufklärung, Würzburg 1993, S. XI.

[2] Walter Dietrichkeit, Gustav Albert Lortzing. Schauspieler, Sänger, Komponist, Kapellmeister. Eine
Biographie, Eigenverlag, Bad Pyrmont 2000.

[3]  Zu den Einzelheiten s. Dietrichkeit, a.a.O., S. 155ff.

[4]  Dietrichkeit, a.a.O., S. 157. Dietrichkeit nennt das spätere Datum, hat mich jedoch darauf hingewiesen, daß
Uwe Leister, Detmold, das frühere Datum für das zutreffende hält.

[5]   Dietrichkeit, a.a.O., S. 165.

[6] Zitat nach Karla Neschke, Albert Lortzing und der Forschungsloge „Quatuor Coronati“ zum Geburtstag,
Vortrag gehalten in Bayreuth am 6. Juli 2001. Das Manuskript wird demnächst in der Zeitschrift TAU
veröffentlicht.

[7]    Dietrichkeit, a.a.O., S. 154f.

[8]    Text in Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Internationales Freimaurerlexikon, Wien München 1932, S. 19.

[9]  Florian Maurice, Freimaurerei um 1800. Ignaz Aurelius Feßler und die Reform der Großloge Royal York in
Berlin Tübingen 1997, S. 268.

[10]  E. Lennhoff, O. Posner, a.a.O., Spalte 1552f.

[11] Norbert Schindler, Freimaurerkultur im 18. Jahrhundert. Zur sozialen Funktion des Geheimnisses in der
entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, in: Berdahl, Lüdtke, Medick, Poni, Reddy, Sabean, Schindler, Sider,
Klassen und Kultur. Sozialanthropologische Perspektiven in der Geschichtsschreibung, Frankfurt am Main 1
1982, S. 213ff.

[12] E. Lennhoff, O. Posner, a.a.O., Spalte 1077.

[13]  E. Lennhoff, O. Posner, a.a.O., Spalte 1078f.

[14] Die Texte zu Mozarts Freimaurermusik sind veröffentlicht in: Harald Strebel, Der Freimaurer Wolfgang
Amadé Mozart, Stäfa (Schweiz) 1991, S. 160ff.

[15] Dietrichkeit, a.a.O., S. 116ff. r

[16] Vgl. Stichwort „Stimmung“ in, Brockhaus Enzyklopädie, 18. Band, Wiesbaden 1973, S. 145f., sowie die dort angegebene Literatur.

[17]  Otto Friedrich Bollnow, Das Wesen der Stimmungen, Zweite durchgesehene und erweiterte Auflage, Frank-
furt am Main 1943.

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